20 November 2025

Karrierewechsel

Vom Konzern-LE1/2 zum Geschäftsführer im Mittelstand — geht das wirklich?

Eine analytische Betrachtung:

Chancen, Risiken, Markt-Fehleinschätzungen und praktische Handlungsempfehlungen für den Karrierewechsel.

Viele Führungskräfte, die lange in großen Konzernen unterwegs waren (Leadership-Level 1/2: Bereichs- oder Divisionsebene, globale Verantwortung, hohe Komplexität), fragen sich: “Kann ich Geschäftsführer im Mittelstand werden — und ist das eine sinnvolle Weiterentwicklung?” Kurzantwort: Ja — aber mit Bedingungen. Im Folgenden beleuchte ich das Thema aus mehreren Blickwinkeln, nenne typische Fallen und zeige, wie Sie denÜbergang strategisch gestalten.

Geschäftsführer

1. Was bedeutet „Mittelstand“? (kurz & pragmatisch)

Der Begriff ist breit: In der Praxis reicht die Bandbreite vom Familienunternehmen mit 20 Mitarbeitenden bis zum mittelständischen Champions mit mehreren hundert oder einigen tausend Beschäftigten. Typische Merkmale, die relevant sind:

• Stärkere Eigentümer- oder Familienpräsenz in Entscheidungen.

• Kürzere Entscheidungswege, oft pragmatischeres Vorgehen.

• Enge Verzahnung von Strategie und operativem Tagesgeschäft.

• Häufig begrenztere Ressourcen (Cash, HR, IT) verglichen mit Konzernen.

2. Chancen — warum Ihr Konzern-Background attraktiv ist

• Strategische Reife & Skalierungserfahrung: Konzern-Manager bringen Erfahrung in Strategieentwicklung, komplexen Transformationsprogrammen und Skalierungsprojekten mit — genau das, was viele Mittelständler brauchen.

• Professionalisierung von Prozessen: Aufbau von KPIs, Controlling, HR-Prozessen, Compliance, Governance. Gerade wachstumsorientierte Mittelständler schätzen diese Fähigkeiten.

• Netzwerk & Zugang zu Kunden/Partnern: Kontakte zu Großkunden, Lieferanten und Investoren sind hoher Wert.

• Change-Management-Kompetenz: Restrukturierungen, Post-Merger-Integration, Digitalisierungsprogramme — das sind häufige Anforderungen.

• Credibility bei Investoren und Banken: Ein Ex-Konzern-Manager signalisiert oft Professionalität und reduziert wahrgenommene Execution-Risiken.

risiko

3. Risiken & Stolperfallen — wo der Übergang scheitern kann

• Kulturelle Differenz: Im Konzern sind Rollen oft klar separiert; im Mittelstand muss der Geschäftsführer oft „mit anpacken“. Wer das nicht toleriert, gerät unter Druck.

• Eigentümer-Logik: Entscheidungen werden nicht allein nach ROI, sondern auch nach Familientradition, Emotion oder Langfrist-Interessen getroffen. Das kann frustrierend sein, wenn Sie rein methodisch vorgehen.

• Ressourcenengpass: Sie müssen oft mit schmalerem Budget und weniger Spezialisten Ergebnisse liefern. Erwartungsmanagement ist entscheidend.

• Überqualifikation vs. Micromanagement: Manche Ex-Konzerner erwarten ein Management-Setup, das es so nicht gibt — oder geraten in Konflikte, weil Eigentümer operativ eingreifen.

• Vergütung & Risiko: Fixgehalt kann niedriger sein; variable Komponenten, Beteiligungen oder Earn-outs sind üblich. Liquiditätsrisiken und Haftungsfragen (z. B. Geschäftsführerhaftung) sind relevant.

• Rechtliche/Regulatorische Unterschiede: Arbeitsrechtliche Besonderheiten, lokale Tarifbindungen oder Nachfolgefragen (bei Familienunternehmen) verlangen Sorgfalt.


4. Häufige Markt-Fehleinschätzungen (und die Realität)

• Fehleinschätzung 1 — „Ich bringe Konzernprozesse rein und alles wird besser“: Realität: Prozesse müssen an die Unternehmensgröße und -kultur angepasst werden. Nicht jede Regel aus dem Konzern ist sinnvoll.

• Fehleinschätzung 2 — „Gehaltseinbußen sind minimal“: Realität: Gesamtvergütung kann anders strukturiert sein (mehr Equity, Erfolgskomponenten). Kurzfristig sind oft Kompromisse nötig.

• Fehleinschätzung 3 — „Eigentümer wollen bloß einen externen Profi“: Realität: Viele Eigentümer suchen einen Coach/Partner, der ihre Sprache spricht — nicht nur einen General, der operativ umkrempelt.

• Fehleinschätzung 4 — „Netzwerk überträgt sich automatisch auf Sales“: Realität: Beziehungen sind wertvoll, aber Zugang zu Kunden muss oft neu aufgebaut und gepflegt werden.

5. Welche Typen von Mittelstands-Rollen passen besonders gut?

• Turnaround- & Restrukturierungs-Geschäftsführer: Wenn Sie Profitabilität, Kostenstruktur und schnelle Entscheidungen gewohnt sind.

• Wachstums-/Scaling-Chefs: Für Unternehmen, die Internationalisierung oder digitale Skalierung anstreben.

• Operational Excellence / Supply Chain CEO: Wenn Ihr Schwerpunkt auf Prozessoptimierung, Logistik oder Produktionsoptimierung liegt.

• Transformations-Geschäftsführer: Für Digitalisierungs- und Change-Programme.

• Nachfolge-Geschäftsführer (Interim-to-Permanent): Als Brücke zur Eigentümerfamilie — oftmals weniger Macht anfangs, braucht diplomatisches Geschick.



6. Was Eigentümer / Aufsichtsräte typischerweise prüfen

• Nachweisbare Erfolgsgeschichten (KPI-nah, quantifiziert).

• Verständnis für Liquidität und Cash-Management.

• Fähigkeit, mit Stakeholdern (Eigentümer, Banken, Belegschaft, Kunden) persönlich und transparent zu kommunizieren.

• Cultural fit: Respekt vor Traditionen und gleichzeitig klare Vision.

• Risikobewusstsein bzgl. Haftung, Compliance und gesetzlicher Vorgaben.

7. Praktische Vorbereitung — Ihr 10-Punkte-Plan für den Wechsel

1. Executive CV kürzen & fokussieren: 1–2 Seiten mit prägnanten Impact-Facts (Umsatz, EBITDA, Effizienzsteigerung, Personalveränderungen).

2. Case-Studies vorbereiten: 3 kurze, quantifizierte Storys: Ausgangslage → Maßnahme → Ergebnis (Zahlen!).

3. Value Proposition formulieren: Was liefern Sie in 6 / 12 / 24 Monaten konkret? (z. B. „+15 % RoI durch Prozessoptimierung innerhalb 12 Monaten“).

4. Understanding Ownership: Recherchieren Sie Eigentümerstruktur & Entscheidungslogik vor Interviews.

5. Compensation- & Vertrags-Check: Alternative Vergütungsmodelle (Equity, Earn-out, Severance, Haftungsabsicherung). Rechtsberatung ist Pflicht.

6. Cultural Due Diligence: Fragen Sie aktiv nach Führungsstil, Entscheidungswegen, bisherigen Konflikten.

7. Netzwerk aktivieren: Referenzen aus Konzernzeit, die für Mittelstand relevant sind (z. B. Lieferanten, Kunden, Investoren).

8. Interims-Option erwägen: Interim-Mandate reduzieren Risiko und geben Einblick.

9. Kommunikationsstrategie: Wie kommunizieren Sie Veränderungen intern (Townhalls, 100-Tage-Plan).

10. Mentale Vorbereitung: Flexibilität für Hands-on-Arbeit und operative Routinen.

Vertrag

8. Vertragsverhandlung — worauf Sie achten müssen

• Klarheit über Zielvorgaben & KPIs.

• Längere Kündigungsfristen / Abfindungen für Führungskräfte über 45 sind marktüblich — verhandeln Sie das.

• Beteiligungen / Optionen: Vesting, Exit-Szenarien, Verwässerungsschutz.

• Haftungs- und Versicherungsfragen: D&O-Versicherung prüfen.

• Earn-out / Meilensteine: Zielvereinbarungen sollten messbar und realistisch sein.


9. Onboarding & die ersten 100 Tage — was Erfolg bringt

• Hören & Verstehen: Zuerst analytisch erfassen: Finanzen, Top-Kunden, Schlüsselpersonen, kritische Prozesse.

• Schnelle Wins definieren: 2–3 Maßnahmen mit sichtbarem Output in 90 Tagen.

• Stakeholder-Map: Wer ist Verbündeter, Neutral, Blocker? Beziehungspflege ist zentral.

• Transparente Kommunikation: Erwartungen, Prioritäten, Kennzahlen offenlegen.

• Talent-Review: Wer bleibt, wer braucht Entwicklung, wer muss ersetzt werden?

10. Fallstudie (typisch, ohne Namen) — wie es gut funktionieren kann

Ein Ex-Leiter Supply Chain eines Großkonzerns wechselt zu einem Produktions-Mittelständler (~300 MA). Er fokussiert im ersten Jahr auf:

• Einführung eines einfachen KPI-Dashboards (Woche/Monat),

• Reduktion von Beständen um 18 % ohne Serviceverlust,

• Neuausrichtung der Vertriebsprozesse mit Key-Account-Management.

Ergebnis: EBITDA-Verbesserung im zweiten Jahr, Eigentümer verlängern Vertrag — klassische Win-win.


11. Fazit — wann es passt und wie Sie die Wahrscheinlichkeit erhöhen

Ein Wechsel vom Konzern auf die Geschäftsführung im Mittelstand ist realistisch und oft sehr lohnend — sowohl inhaltlich als auch finanziell — wenn Sie sich bewusst auf die Eigentümerlogik, begrenzte Ressourcen und die andere Führungsrealität einstellen. Entscheidend sind:

• klare, quantifizierte Impact-Belege;

• Flexibilität im Führungsstil;

• Empathie für Eigentümer- und Mitarbeitendenperspektive;

• sorgsame Vertragsgestaltung.


12. Kurzer Selbstcheck (3 Fragen, die Sie ehrlich beantworten sollten)

1. Bin ich bereit, operativ „anzupacken“ statt nur zu delegieren?

2. Kann ich Entscheidungen erklären und zugleich mit emotionalen Eigentümer-Interessen navigieren?

3. Will ich kurzfristig ein höheres persönliches Risiko (variable Vergütung, Haftung) akzeptieren?